Zwei Päpste, zwei Konzile, zwei Programme
Vatikanstadt, 1.9.00 (KAP) Mit der gleichzeitigen Seligsprechung von Johannes XXIII. und Pius IX. werden zwei Päpste, zwei Konzile, zwei Programme in den Mittelpunkt gestellt. Für die römische Mentalität ist der Gegensatz nicht so krass, wie er «transalpin» empfunden wird. «Erano due stagioni diverse, es waren zwei verschiedene historische Jahreszeiten», meinte am Freitag ein römischer Monsignore lapidar. Zweifellos steht aber gerade in Italien Johannes XXIII., «il papa buono», im Mittelpunkt. Bis zu 200.000 Gläubige werden zur Seligsprechungsfeier am Sonntag erwartet.
Johannes XXIII. hat die Öffnung der katholischen Kirche gegenüber der modernen Welt und den anderen christlichen Kirchen eingeleitet. In einem Pontifikat von weniger als fünf Jahren (28. Oktober 1958 - 3. Juni 1963) veränderte er die Kirche. Überraschend berief der im Alter von 77 Jahren als «Übergangskandidat» gewählte Papst das Zweite Vatikanische Konzil (1962 -1965) ein und initiierte tief greifende Reformen in der Liturgie, der Theologie und der Kirchenverfassung.
In Kind armer Kleinbauern wurde er als Angelo Giuseppe Roncalli am 25. November 1881 in Sotto il Monte (Provinz Bergamo) geboren. Kindheit, Jugend und Studienzeit des späteren Papstes waren spirituell noch ganz vom klassischen «tridentinischen» Katholizismus geprägt, der im Italien des späten 19. Jahrhunderts, dessen führende Schicht glaubenslos und kämpferisch antiklerikal war, die Haltung des «Volkes» verkörperte. Nach verschiedenen Aufgaben in der Diözese Bergamo - wo er als Sekretär von Bischof Giacomo M. Radini Tedeschi die «Modernismus-Krise» erlebte - machte ihn Pius XI. 1925 zum Bischof und päpstlichen Diplomaten. Er vertrat den Heiligen Stuhl in Bulgarien - wegen der Heirat des Königs mit einer italienischen Prinzessin eine ökumenisch-diplomatisch besonders heikle Aufgabe -, später auch in Griechenland und in der Türkei. Im Zweiten Weltkrieg war er ein elastischer, aber konsequenter Gegenspieler der deutschen Nationalsozialisten und ihrer menschenvernichtenden Umtriebe. 1945 kam er als Nuntius nach Paris, wo er auch Kontakt mit Marxisten hatte. 1953 wurde er Patriarch von Venedig, und 1958 wurde er nach dreitägigem Konklave zum Papst gewählt.
Neben der Einberufung des Konzils gehörten die ersten Papstaudienzen für anglikanische, reformierte und orthodoxe Kirchenführer, sowie für die Tochter und den Schwiegersohn des damaligen KPdSU-Generalsekretärs Nikita Chruschtschow zu den Marksteinen seines Pontifikats. Mit Chruschtschow ergab sich eine Verständigungsebene durch die gemeinsame bäuerliche Herkunft; auch der Einfluss des charismatischen Florentiner Bürgermeisters Giorgio La Pira spielte eine Rolle. Im Rückblick wird heute deutlicher sichtbar, wie entscheidend Johannes XXIII. während der Kuba-Krise dazu beigetragen hat, dass es nicht zur befürchteten Katastrophe des Nuklearkriegs kam.
Als erster Papst ernannte er einen Schwarzafrikaner zum Kardinal. Mit seiner Sozialenzyklika «Mater et Magistra» und der Abrüstungs-Enzyklika «Pacem in terris» betrat er Neuland in der Auseinandersetzung der Kirche mit der modernen Welt und erschloss der christlichen Soziallehre neue Horizonte.
Widerspruch gegen Pius IX.
Pius IX. war der am längsten regierende Papst der Kirchengeschichte. Von 1846 bis zu seinem Tod 1878 war er 32 Jahre lang Oberhaupt der katholischen Kirche. In seine Amtszeit fällt die Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre auf dem Ersten Vatikanischen Konzil 1870. In einem Katalog von 80 Sätzen («Syllabus errorum») verurteilte Pius IX. zudem 1864 zahlreiche zeitgenössische Denkströmungen als «Irrtümer», darunter Kommunismus, Nationalismus und Liberalismus.
Pius IX. wurde am 13. Mai 1792 als Giovanni Maria Mastai-Ferretti in eine Familie des italienischen Landadels geboren. Nach seiner Priesterweihe 1819 wurde er 1827 Erzbischof von Spoleto und 1832 Bischof von Imola. Dort erwarb er sich wegen seines auf Ausgleich bedachten Wirkens den Ruf eines «Liberalen». Am 16. Juni 1846 wurde er von den italienischen Kardinälen zum Papst gewählt, ohne die Ankunft der ausländischen Kardinäle abzuwarten. Nach den Wirren der Revolution von 1848/49 sah er in einem von der national-liberalen Bourgeoisie beherrschten Europa die Kirche immer mehr in einer ausschließlichen Verteidigungsposition. Erneuerung der Volksfrömmigkeit, kirchliche Zentralisierung im Papstamt, aber auch der Verlust des Kirchenstaates 1870 kennzeichnen seine Amtszeit.
In der kirchlichen Auseinandersetzung mit der Moderne verfolgte Pius IX. einen Kurs der «Intransigenz», der erst beim Zweiten Vatikanischen Konzil unter Johannes XXIII. endgültig aufgegeben wurde.
Viele Stolpersteine, so die Kritiker der Seligsprechung Pius IX., liegen auf dem Weg der «unbezweifelbaren Heiligmäßigkeit» des Mastai-Ferretti-Papstes. Sein «völliger Verzicht auf nüchterne Zeitanalyse und geduldige Differenzierung» wurde etwa von der «Arbeitsgemeinschaft katholischer Kirchenhistoriker im deutschen Sprachraum» kritisiert. In das gleiche Horn stieß auch das Direktionskomitee der internationalen Zeitschrift für Theologie, «Concilium», dem Namen wie Metz, Küng, Schillebeeckx und Mieth angehören: Wie kein anderer Papst vor ihm habe sich Pius IX. allen reformfreundlichen zeitgenössischen Denk- und Kulturbewegungen widersetzt.
Die Aufwertung des Ersten Vatikanums durch die Erhebung seines Protagonisten in den Stand eines überzeitlichen Vorbilds wird schließlich von vielen als eine deutliche Abwertung des Zweiten Vaticanums verstanden - für das als Personifizierung des ökumenischen Dialogs Papst Johannes XXIII. steht. Die Flut der kritischen Äußerungen gipfelt in einer zentralen Befürchtung: Glaubwürdigkeitsverlust - nicht nur für die intensiven Bemühungen des gegenwärtigen Papstes um Versöhnung und Ökumene.
Kathpress