Aus der kasachischen Steppe ruft der Papst zum Weltfrieden

Johannes Paul II. verlas seinen eindringlichen Appell selbst auf Englisch

"Kathpress"-Korrespondentenbericht von Ludwig Ring-Eifel

Astana, 23.9.01 (KAP) Eine buntere Mischung von Gegensätzen hat es noch bei keiner Papstmesse im ehemaligen Ostblock gegeben: Nachfahren deportierter Wolga-Deutscher, russisch-orthodoxe Babuschkas, fromme katholische Koreaner, atheistische Akademiker und muslimische Kasachen stehen in friedlicher Eintracht nebeneinander. Auf dem weitläufigen, durch einige Plattenbauten und ein postsowjetisches Vaterlandsdenkmal notdürftig eingefassten Hauptplatz der kasachischen Hauptstadt Astana (in sowjetischer Zeit hieß sie Zelinograd, "Stadt des Getreides") beten sie gemeinsam das Vaterunser in russischer Sprache. Eine Ordensfrau hilft als Vorbeterin nach, viele der rund 50.000 Teilnehmer lesen ein wenig stockend, weil ungewohnt, den Text laut mit. Die meisten der hier Versammelten sind, wie Papstsprecher Vatikansprecher Joaquin Navarro-Valls lächelnd erklärt, Religionslose oder Muslime.

"Ein wirklich schönes Gebet", meint Adilbek Jussupow. Besonders gut gefällt ihm die Stelle: "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben..." Der 22-jährige aus traditionell muslimischer Familie ist stolz, dass der Papst sein Land besucht. "Er ist ein heiliger Mann, und wir alle glauben an den selben Gott", sagt er und beobachtet dann gespannt weiter, was vorne am Altar passiert. Es ist das erste Mal in seinem Leben, dass er eine katholische Messfeier erlebt. Wenige Meter von ihm entfernt steht Nadjeschda Wilhelm, die aus einer wolgadeutschen Familie kommt. Obwohl sie noch passabel die Sprache der Vorfahren spricht, fehlen ihr die Worte, um auszudrücken, was sie empfindet. "Ich bin sehr glücklich", bringt sie schließlich heraus, und in ihren Augen stehen Tränen.

Johannes Paul II. findet an diesem sonnenüberfluteten Herbsttag Worte für alle. Er spricht den Nachfahren der deportierten Deutschen Trost zu und bekundet Respekt für ihren Fleiß, er grüßt freudig seine polnischen Landsleute, die heute den Kern der katholischen Kirche und vor allem des geistlichen Personals in ganz Zentralasien stellen. Er spricht zu den Atheisten, den Orthodoxen, den Muslimen. Auch den Nationalstolz des jungen, aus mehr als 100 Volksgruppen zusammengewürfelten Steppenlandes lässt er nicht zu kurz kommen. Der Altar steht unmittelbar vor dem himmelwärts ragenden Vaterlandsdenkmal und ist unter einem türkisfarbenen Halbzelt mit orientalischen Mustern aufgebaut. Der Papst lässt sich in einer "Sakristei" in Gestalt einer stilisierten Nomadenjurte für den Gottesdienst ankleiden, und neben dem Russischen, das er wie alle slawischen Sprachen fast akzentfrei spricht, benutzt er hin und wieder mit hörbarer Mühe auch kasachisch.

Doch die Weltpolitik holt den Papst auch beim Gottesdienst in der Steppen-Hauptstadt ein. Angesichts der Zuspitzung um die absehbaren US-Militäraktionen in Afghanistan und anderen Ländern ändert Johannes Paul II. nach dem Gottesdienst den vorgesehenen Ablauf. Er verliest einen feierlichen Appell, in dem er Christen und Muslime in aller Welt gleichermaßen zum Gebet für den Frieden aufruft. "Von Astana aus, in Kasachstan, einem Land, das ein Beispiel für Harmonie zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft ist, appelliere ich...", so beginnt der Text, den der Papst am Vorabend eilig verfasst hat. Mit eindringlichen Worten verurteilt er den Missbrauch der Religion als Kriegsrechtfertigung und schließt: "Mit meinem ganzen Herzen bitte ich Gott, der Welt den Frieden zu erhalten". Alles, was eben noch nach bloß lokaler Eigenheit aussah, wird nun zum Symbol mit internationaler Aussagekraft: Die friedliche Vielfalt der Kulturen und Religionen in Kasachstan, die Anwesenheit des Großmuftis und nicht zuletzt die Lage des Landes irgendwo zwischen Europa und Asien.

Das riesige Steppengebiet hat plötzlich seinen Platz in einer für die gesamte Welt wichtigen Region: Zwischen der Südgrenze Russlands und der Kriegsregion am Hindukusch. Es wird als eines der Länder gehandelt, von denen aus amerikanische Militärmaschinen starten könnten - falls Moskau dies duldet. Bezeichnenderweise verliest der Papst seinen Appell in einer Sprache, die kaum jemand auf dem Platz versteht: In Englisch. Den amerikanischen Fernsehteams, die ihn begleiten, erleichtert das die Arbeit. Sie werden seine Wort später im Originalton in alle Welt verbreiten. Erst nach der englischen Fassung, die er selbst vorträgt, lässt der Papst den Text auch in russisch und kasachisch verlesen. Die Wiederholung verstärkt nochmals den beschwörenden Ton des Appells. Afghanistan ist - trotz zentralasiatischer Distanzen - nicht weit, und deshalb verstehen die Menschen in Astana nur zu gut, was der Gast aus Rom meint.

Kathpress
23. september 2001

av Webmaster publisert 23.09.2001, sist endret 23.09.2001 - 18:24