Gemischte Reaktionen auf vatikanische Archivöffnung

Vatikan macht Deutschland betreffende Archivdokumente aus der Zeit Pius XI. und Dokumente über den Einsatz des Apostolischen Stuhls für Inhaftierte während des Zweiten Weltkriegs vorab für die wissenschaftliche Forschung zugänglich

Vatikanstadt, 17.2.02 (KAP) Die Ankündigung des Vatikans, das Archivmaterial über Deutschland aus der Pontifikatszeit Papst Pius XI. (1922-39) vorzeitig zu öffnen, stößt auf gemischte Reaktionen, berichtet Radio Vatikan-deutsch. Es habe sich um einen "überfälligen Schritt" gehandelt, wurde vom Simon-Wiesenthal-Center in Los Angeles festgestellt; der Schritt gehe nicht weit genug, meinte dagegen der Jüdische Weltkongress (JWC) und forderte eine völlige Archivöffnung ohne jede Einschränkung.

Der Präfekt des vatikanischen Geheimarchivs, P. Sergio Pagano, sagte im Gespräch mit Radio Vatikan, es lasse sich noch nicht absehen, ob sich durch die Öffnung neue Aspekte für die historische Analyse der Beziehung zwischen Kirche und Nationalsozialismus ergeben werden. Die Inventur dieser Dokumente dauere noch an. Wörtlich meinte Pagano: "Etwas Neues wird sich schon ergeben, aber ich glaube nicht an eine Revolution für die Geschichtsschreibung". Die Bedeutung der Archivöffnung werde aber klar, wenn "man sich vor Augen hält, dass Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., zu dieser Zeit - 1920 bis 1929 - Nuntius in Deutschland war". Man sehe also durch diese Dokumente das Profil des künftigen Papstes durchscheinen.

Ab 2003 würden auch Dokumente zugänglich sein, die den Einsatz des Papstes für Verfolgte während des Zweiten Weltkriegs zeigen, kündigte Pagano an: "Wir besitzen etwa zweieinhalb Millionen Karteikarten mit Auskünften über Gefangene mit all ihren Daten und eventuell der Angabe des Konzentrationslagers, in dem sie sich befanden. Hier erfahren wir, wie detailliert der Apostolische Stuhl für die Familien von Inhaftierten Informationen zusammengetragen hat".

Obwohl die Materialien aus dem Pontifikat Papst Pius XI. erst frühestens in drei Jahren geordnet sein werden, sollten schon vorab die Deutschland betreffenden Teile aus den Archiven des Staatssekretariats und des päpstliches Geheimarchivs freigegeben werden, hatte der Vatikan am Freitag erklärt. In der Regel gibt der Vatikan seine Archive jeweils für den geschlossenen Zeitraum von einem oder mehreren Pontifikaten frei; bisher sind die Dokumente bis zum Jahre 1922 zugänglich. Auch die vatikanisch-deutschen Dokumente aus der Pontifikatszeit Pius XII. (1939-58) sollen auf Wunsch von Papst Johannes Paul II. vorzeitig freigegeben werden. Dem Papst liege die Klärung jener Periode mit dem Weltkrieg und der Tragödie der Shoah sehr am Herzen, heißt es in der Erklärung.

Zur Öffnung kommen demnach 430 Mappen, die die Nuntiatur in München für die Jahre 1922-30 betreffen sowie 100 Mappen der Nuntiatur in Berlin aus dem selben Zeitraum. Das Berliner Archiv sei während des Krieges schwer beschädigt worden, heißt es in der Vatikanerklärung; für die Jahre 1931-42 seien zahlreiche Dokumente verschwunden oder vernichtet worden. Aus dem Archiv des Staatssekretariates würden 10 Mappen für Bayern (1922-39) und 100 Mappen über Deutschland (1922-39) zugänglich gemacht.

Die vorzeitige Öffnung von Archivteilen sei für das Archivwesen eine Besonderheit, in gewisser Weise eine "Anomalie", wird in der vatikanischen Erklärung betont. Daher seien gewisse Schwierigkeiten für die Wissenschaftler unvermeidlich.

Kathpress
17. februar 2002

av Webmaster publisert 18.02.2002, sist endret 18.02.2002 - 16:56