Als Missionar im Kaukasus

Der Papst predigte in Azerbaidschan auch vor Muslimen, Orthodoxen und Agnostikern

«Kathpress»-Korrespondentenbericht von Ludwig Ring-Eifel und Alexander Reiser

Baku, 23.5.02 (KAP) Nur rund 150 einheimische Katholiken gibt es in Azerbaidschan «offiziell». Zum Papstgottesdienst im Sportpalast von Baku waren jedoch 1.500 Menschen erschienen. Die Messe war eine der zahlenmäßig kleinsten öffentlichen Eucharistiefeiern, die Papst Johannes Paul II. jemals auf einer seiner 96 Auslandsreisen gefeiert hat. Gerade deshalb war die Feier am Donnerstag jedoch ein beeindruckendes Missionsereignis.

Die Sporthalle war mit einem gewebten Kreuz und einem Altar aus Holz provisorisch in einen liturgischen Raum verwandelt worden. Improvisiert wie der kirchliche Raum war auch die Gemeinde, die sich versammelt hatte, um den «Roma papa», wie der Papst auf Azeri genannt wird, zu erleben.

Die übergroße Mehrheit der Versammelten waren Nichtkatholiken, zum Teil Angehörige der russisch-orthodoxen Minderheit, aber auch viele Muslime und Agnostiker. Kurz bevor Johannes Paul II. unter tosendem Beifall den Raum betrat, erklärte ein Gemeindemitglied in russischer Sprache den Ablauf einer katholischen Messe und wies darauf hin, dass an der Kommunion nur Katholiken und Orthodoxe teilnehmen dürften.

Die Motive der Nichtkatholiken zur Teilnahme an der Messe waren höchst unterschiedlich. So erklärte die Muslimin Schafija Achmadowa, sie habe sich spontan zur Teilnahme entschieden, nachdem sie den Papst am Vortag im Fernsehen gesehen hatte. Sie sei beeindruckt, weil er trotz seines Alters diese Reise als Botschafter des Friedens gemacht habe. Sie habe geweint, als sie ihn im Fernsehen sah, weil er in seinem Leben so viel gelitten habe und auch jetzt so viel leide.

Für die 55-jährige Anna Zebulskaja, eine von russischen Eltern abstammende Azerbaidschanerin, ist der Besuch der Papstmesse ein zentrales Ereignis ihres Lebens. Sie ist atheistisch aufgewachsen, doch seit einiger Zeit trägt sie sich mit dem Gedanken, katholisch zu werden. Vom Papstgottesdienst erhoffte sie sich Impulse für diese wichtige Entscheidung.

Die Zahl der Katholiken wächst. Den meisten Beifall bekam der Papst denn auch bei seiner Predigt, als er ankündigte, er werde den Grundstein für eine neue katholische Pfarrkirche segnen. Das letzte Gotteshaus der einst beachtlichen katholischen Gemeinde in Baku hatte Stalin 1937 sprengen lassen. Erst seit wenigen Jahren ist die katholische Gemeinschaft wieder offiziell in Azerbaidschan registriert.

Die winzige katholische Minderheit, die in der Zeit der Verfolgung unter die Fittiche der orthodoxen Schwesterkirche geflüchtet war, entfaltet sich heute ohne Behinderungen. Die Verfassung des Landes ist pluralistisch und überkonfessionell. Die islamische Mehrheit steht mehr auf dem Papier, weil Azerbaidschan, vor allem die Küstengegend um Baku eine der säkularisiertesten Regionen des einstigen Sowjetimperiums ist.

Der Papst traf nach der Messe noch mit offiziellen Repräsentanten der Religionsgemeinschaften zusammen, darunter auch mit dem Scheich-ul-Islam. Zuvor kam es zu einer kurzfristig ins Besuchsprogramm aufgenommenen Begegnung mit Menschen aus Berg-Karabach, die im Krieg mit Armenien nach Baku geflohen waren. Während die Flüchtlinge dem Gast aus Rom ihr Leid klagten und ihn um Hilfe anflehten, bildete sich im Sportpalast eine große Menschentraube um die Marienstatue, die der Papst beim Gottesdienst gesegnet hatte.

«So lange ich noch Atem habe ...»

Seinen Kurzbesuch in Baku hatte der Papst am Mittwoch mit einem dramatischen Ausruf begonnen: «So lange ich noch Atem habe, werde ich ausrufen: Friede im Namen Gottes! Es reicht mit den Kriegen im Namen Gottes! Schluss mit der Entweihung seines heiligen Namens!» Damit untermauerte Johannes Paul II. vor seinem überwiegend islamischen Publikum erneut seinen Anspruch, bis zum letzten Atemzug als weltweiter Botschafter des Friedens dem fundamentalistischen Missbrauch der Religionen für kriegerische Zwecke entgegenzutreten.

Er tat das ungeachtet seiner angeschlagenen Gesundheit. Wegen seiner Gehbehinderung konnte er erstmals nicht die Gangway benutzen, um das Flugzeug zu verlassen, sondern benutzte eine Hebebühne. Auch wurden weite Teile seiner Ansprachen von Mitarbeitern verlesen.

Nach der Ankunft auf dem Flughafen besuchte er das Mahnmal für die Gefallenen der Unabhängigkeit: Postkommunistischer Beton auf einem Gelände malerisch über dem Golf von Baku, mit Blick auf das Kaspische Meer. Auf dem Weg zum Mahnmal rechts und links Hunderte von Gräbern, Gefallene in mehreren Kriegen für die Unabhängigkeit, auch Opfer des türkischen Völkermords an Armeniern vor etwa hundert Jahren. Der Papst legte hier Blumen nieder, wortlos. Im geschlossenen Wagen dann die Fahrt des Papstes zum Präsidentenpalast; hier traf er mit Präsident Haidar Alijew zu Gesprächen zusammen; eine erste Unterredung auf russisch, dann ein Austausch von Geschenken.

Bereits bei der Ankunft ging der Papst auf die besondere geostrategische Lage des Landes ein, das eingeklemmt zwischen Russland im Norden und dem Iran im Süden an der Nahtstelle von Europa und Asien liegt und seit mehr als einem Jahrzehnt in einen Krieg mit dem christlichen Nachbarland Armenien verstrickt ist. Ohne die blutigen Konflikte im Kaukasus beim Namen zu nennen, sprach der Papst davon, dass «nicht fern von hier in grausamer und sinnloser Weise ein bewaffneter Konflikt herrscht».

Staatspräsident Präsident Haidar Alijew hatte zuvor in seiner Begrüßungsrede die Erwartung formuliert, dass der Gast aus Rom das Thema des Konflikts mit Armenien ansprechen möge. Doch auch an die blutigen Konflikte in den benachbarten Republiken Tschetschenien und Dagestan oder in Georgien dürfte der Papst gedacht haben.

Der 1923 geborene Alijew hat eine typisch sowjetische Bilderbuchkarriere hinter sich: Seit 1945 Mitglied der KPdSU, Historiker, KGBist, Mitglied im Politbüro und Vize-Ministerpräsident der Sowjetunion. Ab 1987 kam es zu Spannungen mit dem damaligen sowjetischen Staatschef Gorbatschow, 1990 engagierter Kämpfer für Azerbaidschans Unabhängigkeit. Nach der Unabhängigkeit 1991 kam es zwei Jahre später zu neuen Spannungen mit Moskau, ein Bürgerkrieg drohte, der altgediente Parteistratege Alijew griff wieder nach der Macht. Neuerdings «bekennt» er sich zum islamischen Mehrheitsglauben. Nicht ohne Geschick balanciert Alijew zwischen dem großen Nachbarn Russland und dem Westen, der sich sehr für Azerbaidschans Öl interessiert.

Die extrem geringe Zahl der Katholiken brachte es mit sich, dass der Papstbesuch in Baku von vornherein eine eher politische als pastorale Bedeutung hat. Für die vatikanische Diplomatie ist die Visite vor allem ein Balanceakt nach dem Armenienbesuch vom vergangenen September. Es sollte der Eindruck vermieden werden, Johannes Paul II. ergreife in dem Konflikt einseitig Partei für Armenien.

Auch wenn der Papst auf den Wunsch seiner Gastgeber einging, schonte er die Machthaber in Azerbaidschan nicht mit Kritik. Mit ungewöhnlich offenen Worten geißelte er die Übel der Korruption und der Selbstbereicherung der politischen Klasse. Die haben dazu geführt, dass trotz reichlich sprudelnder Erdölquellen und staatlicher Unabhängigkeit bis heute ein großer Teil der Menschen in der Kaukasus-Republik unter der Armutsgrenze lebt und die große Mehrheit in den schier endlosen, halb verfallenen sowjetischen Plattenbausiedlungen mehr schlecht als recht über die Runden kommt.

Die zum Teil dramatische soziale Lage veranlasste Johannes Paul II., deutlicher als bei früheren Reisen in die Ex-Sowjetunion vor einer «gefährlichen Nostalgie» für die kommunistische Vergangenheit zu warnen. «Die Leute vergessen nicht! Sie geben die bittere Kritik an denen, die ihre Macht missbrauchen, an ihre Kinder und Enkel weiter», sagte er an die Adresse der wohlhabenden politischen Klasse des Landes. Trotz dieser kritischen Botschaft und trotz der erschütternden körperlichen Schwäche des Papstes dankte ihm die kulturelle und politische Elite des Landes mit lang anhaltendem Beifall.

Kathpress
23. mai 2002

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