Europarat: Droht Kehrtwende bei Verbot aktiver Sterbehilfe?

Mitgliedstaaten sollen Straffreiheit in Aussicht stellen

Straßburg, 9.9.03 (KAP) Im Europarat droht eine Kehrtwende in der Haltung zur aktiven Sterbehilfe. Hatte die Parlamentarische Versammlung des Staatenbundes noch 1999 ausdrücklich ein absolutes Verbot der aktiven Sterbehilfe verlangt, so wird in einem bei der Herbsttagung des Gremiums zu diskutierenden Bericht das genaue Gegenteil verlangt: Die 45 Mitgliedstaaten werden aufgerufen, unter bestimmten Aussichten Straffreiheit für aktive Sterbehilfe in Aussicht zu stellen. Die Sozial- und Gesundheitskommission des Europarates hat dem Dokument Ende vergangener Woche bereits zugestimmt.

Ob der Berichtsentwurf das Plenum der Parlamentarischen Versammlung unverändert passieren wird, ist ungewiss. Die Delegierten, die vom 25. September bis 2. Oktober in Straßburg zusammentreten, haben nicht nur die Möglichkeit zu Änderungsanträgen, sondern auch zur vollständigen Ablehnung des Dokuments.

Rechtlich verbindlich sind die Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung nicht. Ihre politische Bedeutung ist andererseits aber nicht zu unterschätzen.

Der neue Entwurf zeichnet sich durch einen vollständigen Perspektivwechsel gegenüber der Europarats-Position von 1999 aus. Im damaligen Bericht, verfasst von der österreichischen ÖVP-Politikerin Edeltraud Gatterer, hieß es ausdrücklich: «Der von einem unheilbar Kranken oder einem Sterbenden ausgedrückte Wunsch zu sterben darf niemals die juristische Grundlage für seinen Tod aus den Händen Dritter bilden». Genau das aber wurde inzwischen in den Euthanasie-Gesetzen der Niederlande und Belgiens festgelegt.

Der Autor des neuen Berichtsentwurfs, der Schweizer Liberale Dick Marty, dreht Gatterers Formulierung entsprechend den niederländisch-belgischen Gesetzesregelungen in ihr exaktes Gegenteil um: «Niemand hat das Recht, einem Sterbenden oder einem in der Endphase Erkrankten aufzuerlegen, weiter in Angst und unerträglichen Schmerzen zu leben, sofern dieser wiederholt seinen Wunsch zu sterben ausgedrückt hat».

Und wörtlich werden die Mitgliedstaaten aufgerufen zu prüfen, «Ärzte von der Strafverfolgung auszunehmen, die sich bereit erklären, solchen unheilbar Kranken, die dauernde und unerträgliche Leiden haben und ohne Hoffnung auf Besserung sind, dabei zu helfen, ihrem Leben ein Ende zu bereiten, sofern sie darum wiederholt, freiwillig und nach gründlicher Überlegung gebeten haben».

Diese Kehrtwende um 180 Grad wird in einem vom Europarat veröffentlichten Interview mit dem ebenfalls liberalen niederländischen Europarats-Parlamentarier Dirk Dees verteidigt. Dees verweist darauf, dass nach Einführung des niederländischen Sterbehilfegesetzes die Zahl der Euthanasie-Fälle stabil geblieben sei. Missbrauchsfälle habe es keine gegeben. Vor der Einführung einer Straflosigkeit für Sterbehilfe müsse auch ernsthaft geprüft werden, ob die Einrichtungen der sterbebegleitenden Palliativmedizin in dem jeweiligen Land ausreichend ausgebaut sind.

Verschiedenerseits wird Kritik an dem neuen Vorschlag geübt. Es sei unklar, wohin es führen werde, wenn man diese Tür öffne. Würde aktive Sterbehilfe straflos, gehe man das Risiko ein, dass es zu Missbrauch komme.

Kathpress
9. september 2003