Jerusalem, 7.5.02 (KAP) Der französische Kurienkardinal Roger Etchegaray hat seine Sondermission im Heiligen Land beendet und Jerusalem wieder verlassen. Während seines fünftägigen Aufenthaltes hatte Etchegaray Unterredungen mit Israels Staatspräsident Moshe Katzav und Palästinenserpräsident Jassir Arafat geführt. Eine Unterredung mit dem israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon war nicht zustandegekommen. Etchegaray war vom Papst ins Heilige Land entsandt worden, um im Konflikt um die Geburtskirche von Bethlehem zu vermitteln. Seinen Wunsch nach einem Besuch in der Geburtsstadt Jesu und einer Messe an der Grotte hatte er nicht verwirklichen können.
Verhandlungen um Geburtskirche kamen voran
Die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern zur Lösung des Konflikts um die Bethlehemer Geburtskirche sind weiter vorangekommen. Derzeit würden noch die letzten Einzelheiten geregelt, eine Einigung könne bis zum Abend erzielt werden, bestätigte ein israelischer Militärsprecher am Dienstag auf Anfrage in Jerusalem. Dem Vernehmen nach haben die Palästinenser der israelischen Forderung zugestimmt, 13 der in der Geburtskirche verschanzten Kämpfer ins Ausland abzuschieben. Weitere 26 würden in den Gaza-Streifen deportiert, um dort vor ein palästinensisches Gericht gestellt zu werden. Die Betroffenen werden von Israel als Terroristen bezeichnet.
Nach unbestätigten Informationen sollen sich derzeit zwei palästinensische Unterhändler in dem seit fünf Wochen von israelischen Soldaten belagerten Gotteshaus befinden, um die Zustimmung der Auszuweisenden einzuholen. Unklar ist noch, ob Italien die genannten Palästinenser aufnimmt. Das römische Außenministerin teilte am Dienstag auf Anfrage mit, es sei noch kein entsprechender Antrag eingegangen. Ursprünglich hatten die Palästinenser lediglich der Deportation von sechs Kämpfern ins Ausland zugestimmt.
Die Verhandlungen zur Lösung der Krise stehen unter Zeitdruck. US-Präsident George Bush hatte in der vergangenen Woche erklärt, er werde den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon erst nach Beendigung des Konflikts in Bethlehem empfangen. Das Gespräch zwischen Sharon, der am Sonntag in Washington eingetroffen war, und Bush war für Dienstagabend vorgesehen.
Derzeit sollen sich von den ursprünglich rund 270 Personen noch 123 Palästinenser sowie 30 Priester und Ordensleute in dem Gotteshaus befinden. Zehn der Männer werden von Israel als Top-Terroristen bezeichnet, die an Terroranschlägen beteiligt gewesen seien. Unter ihnen soll Ibrahim Muse Abajat sein, Anführer der Tansim-Milizen, des militärischen Flügels der Fatah-Bewegung von PLO-Chef Jassir Arafat. Auch drei Mitglieder der islamisch-militanten Hamas-Bewegung stehen auf der israelischen Liste.
Keine Vatikan-Intervention
Der Vatikan dementierte am Dienstag Gerüchte, wonach er sich bei den italienischen Behörden um eine Aufnahme von Flüchtlingen aus der Geburtskirche von Bethlehem in Italien bemühe. "Ich kann bestätigen, dass es solche diesbezüglichen offiziellen Kontakte nicht gegeben hat", erklärte Vatikansprecher Joaquin Navarro-Valls auf Journalisten-Anfragen.
Italien will Absprache
Unterstaatssekretär Alfredo Mantica vom römischen Außenministerium betonte am Dienstag, sobald das Ersuchen eintreffe, werde die Regierung in Absprache mit den Europäern, den USA und Israel eine Entscheidung treffen. Zuvor müsse Italien aber über alle Einzelheiten des Abkommens sowie "über den juristischen Status der betroffenen Palästinenser und die Gefahr, die von ihnen ausgehen könnte, informiert werden".
Italien lehnt nach Worten von Verteidigungsminister Antonio Martino jedoch einen Alleingang bei der Aufnahme ausgewiesener Palästinenser ab. Die Regierung sei bisher in dieser Angelegenheit nicht offiziell befragt worden und erst recht nicht in Entscheidungen eingebunden, meldete der italienische Rundfunk. Allerdings würde sein Land es aufmerksam erwägen, wenn es von israelischer und palästinensischer Seite um Zusammenarbeit bei der Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen eingeladen würde, so der Minister.
Nach einem Bericht der israelischen Zeitung "Haaretz"-Online soll ein britisches Flugzeug bereits auf Zypern bereitstehen, um die Männer nach Italien auszufliegen. Laut Informationen aus Israel ist es auch denkbar, dass die Palästinenser zunächst nach Ägypten gebracht werden, bis über ihr definitives Schicksal entschieden ist.
Kein Klosterasyl
Italienische Medien hatten berichtet, die Palästinenser würden in einem Franziskanerkloster nahe der toskanischen Stadt Arezzo untergebracht. Dieses Gerücht wies der Orden am Dienstag zurück. "Das ist Unsinn; die Generalkurie dementiert in absoluter Form, dass die Franziskaner eine Verpflichtung zur Aufnahme dieser Leute übernommen haben", erklärte ein Sprecher der Kurie "Kathpress" gegenüber. Die Franziskaner seien weder gefragt worden noch betreffe sie dieser Punkt.
Rückzug wird vorbereitet
Während die israelische Armee damit begonnen hat, den Rückzug aus Bethlehem vorzubereiten, wird weiterhin verhandelt, wie auch eine israelische Militärsprecherin bestätigte. Sie fügte hinzu, sofort nach der Einigung werde Bethlehem für Journalisten geöffnet. Die Medienvertreter könnten dann vom Krippenplatz die aktuellen Vorgänge beobachten. Hamas sowie Fatah lehnten die Übereinkunft dem Vernehmen nach noch ab. Arafat hingegen soll den Vertrag unterzeichnet haben. Auch soll es in der Kirche Streit unter den Palästinensern geben, wer nach Italien "ausreisen darf" und wer in den Gaza-Streifen muss.
Brüssel involviert
Eine Sprecherin des außenpolitischen Repräsentanten der EU, Javier Solana, bestätigte am Dienstag in Brüssel, dass sich EU-Diplomaten und Sicherheitsexperten seit längerer Zeit in die Verhandlungen um eine Lösung für die Geburtskirche bemüht hätten. "Wir hoffen sehr, dass es noch im Tageslauf eine endgültige Entscheidung geben wird", sagte die Sprecherin. Die Lösung könne so aussehen, dass ein Teil der Palästinenser in der Geburtskirche nach Italien ausreise, ein anderer Teil in Gaza vor Gericht gestellt werde und der Rest auf freien Fuß komme.
EU-Vertreter verwiesen darauf, dass Italien frei und selbstständig über die Gewährung von Asyl entscheiden könne.
Noch kein Aufnahmeland für Palästinenser
Während das israelische Militär weiterhin Vorbereitungen für ein Ende der Belagerung der Geburtskirche trifft, hat sich noch kein ausländischer Staat zur Aufnahme von 13 zu deportierenden Palästinenser gefunden. Die italienische Regierung erklärte am Nachmittag, sie sei bislang nicht offiziell angefragt worden. Zudem lehne Italien eine Aufnahme der Männer kategorisch ab, heißt es in einer Presseerklärung. Gleichzeitig verlautete auch aus Ägypten, dass eine entsprechende Anfrage ebenfalls abgelehnt würde.
In dem zwischen Palästinensern und Israel ausgehandelten Vertrag soll festgelegt sein, dass die 13 von Israel als Top-Terroristen bezeichneten Männer nach Italien deportiert werden. Das israelische Verteidigungsministerium erklärte unterdessen, Israel habe den Vertrag unterschrieben. Dieser könne jedoch nicht umgesetzt werden, solange es kein Aufnahmeland gebe. Nach dem Protest Roms soll es Überlegungen geben, die Palästinenser zunächst nach Kairo zu fliegen, bis über ihr endgültiges Schicksal entschieden sei.
Nicht vor Einbruch der Dunkelheit
Nach Informationen israelischer Journalisten wird derzeit nicht mit einem Ende der Krise vor Einbruch der Dunkelheit gerechnet. Auch sei noch nicht klar, ob die seit Stunden an einem Check-Point wartenden Journalisten die Geburtskirche nach Abzug der dort eingeschlossenen Personen betreten dürften. Darüber müsse noch mit den entsprechenden kirchlichen Stellen verhandelt werden, hieß es.
Einer der in dem Gotteshaus eingeschlossenen Franziskaner sagte telefonisch, einige der auszuweisenden Palästinenser seien mit dem Vertragswerk nicht einverstanden. Zur Zeit werde auch noch an dem Zeitplan für die Aktion gearbeitet, sagte der Pater. "Wir hoffen aber, dass sich die Dinge in den nächsten Stunden oder Tagen gut entwickeln werden", fügte er hinzu.
Kathpress
7. mai 2002