Angriff auf Geburtskirche: Ein Toter, wertvolles Mosaik beschädigt

Franziskaner widersprechen israelischer Darstellung über Hergang des Feuergefechts in den frühen Morgenstunden des Montags

Jerusalem, 8.4.02 (KAP) Der Angriff auf den Gebäudekomplex der Geburtskirche in Bethlehem in den frühen Morgenstunden des Montag sei von der israelischen Armee ausgegangen. Das betonte die Kustodie der Franziskaner im Heiligen Land und wies gegenteilige Behauptungen von israelischer Seite zurück, die Palästinenser hätten das Feuer eröffnet. Bei dem Angriff wurde ein Palästinenser getötet. Zudem hat nach Angaben des Ordens eine von den Israelis abgefeuerte Granate ein Glasfenster der Geburtskirche durchschlagen und im armenischen Teil des Gotteshauses eines der ältesten und wertvollsten Mosaike beschädigt. Dieses Mosaik zeigt den Zug der Heiligen Drei Könige in persischer Tracht, was während des persisch-römischen Krieges des Jahres 614 dazu führte, dass die Geburtsbasilika als einzige der großen Kirchen des Heiligen Landes von den iranischen Truppen verschont wurde.

Um etwa 3 Uhr früh hätten sich israelische Soldaten über eine Mauer in einen Hof im Inneren des Gebäudekomplexes abgeseilt, so die Angaben - unter Feuerschutz von Schützenpanzern und Scharfschützen. Die Israelis hätten zudem Brandgranaten geworfen; eine dieser Granaten habe in das Pfarrbüro eingeschlagen und dort einen Brand ausgelöst. Bei dem Versuch das Feuer zu löschen, wurde der 23-jährige Khaled Syam von einem israelischen Scharfschützen tödlich getroffen. Auf amerikanischen Druck konnte ein Feuerwehrfahrzeug, das zuerst strengster Kontrolle unterzogen worden war, sich dem Gebäudekomplex nähern, berichtete der vatikanische Nachrichtendienst "Fides".

Der Sprecher der Franziskaner-Kustodie im Heiligen Land, P. David Jaeger, bezeichnete den Angriff der israelischen Armee als "eine schreckliche und barbarische Tat mit unvorhersehbaren Folgen". Diese Gewalt gegen eine heilige Stätte sei "erschütternd". "Ich erkenne mein Land nicht wieder", sagte der Franziskaner, ein Konvertit aus dem Judentum. In den vergangenen Tagen hatte die israelische Regierung versichert, man werde die Geburtskirche und die angeschlossenen Gebäude nicht angreifen. Die Kustodie appelliere an die internationale Öffentlichkeit, den in der Geburtskirche Eingeschlossenen zu Hilfe zu kommen.

Noch am Sonntagabend hatte der stellvertretende israelische Außenminister Michael Melchior, der für die Beziehungen zur katholischen Kirche verantwortlich ist, den Kustos der Franziskaner, P. Giovanni Battistelli, für Montagabend zu einem Treffen eingeladen. Als er am Montagmorgen von Pater Jaeger mit der Nachricht von der Attacke geweckt wurde, erklärte der stellvertretende Außenminister, es sei kein solcher Angriff geplant gewesen. "Ich weiß von nichts!", bekräftigte er.

Ministerpräsident Ariel Sharon sagte unterdessen in einer Rede vor der Knesset, dem israelischen Parlament, die israelische Armee werde die Geburtskirche so lang belagern, bis die internationale Gemeinschaft die dort verschanzten palästinensischen Kämpfer dazu gebracht habe, ihre Waffen niederzulegen und herauszukommen". Die Franziskaner haben in den letzten Tagen mehrfach bekundet, dass sie sich nicht als "Geiseln" der Palästinenser fühlen.

"Israelis verlangen von Franziskanern Räumung des Konvents"

Unterdessen verlangte die israelische Armee von den Franziskanern die Räumung des Klosters neben der Bethlehemer Geburtskirche. Das bestätigte der Guardian des Konvents, P. Johannes Simon, am Montagmorgen telefonisch.

Laut Simon ist das Feuer in den Räumen des Pfarrbüros nach wie vor nicht gelöscht. Der Ordensmann rief die Politik dazu auf, eine weitere Eskalation des Konflikts oder eine Erstürmung des Klosters durch die Israelis zu verhindern.

Lutherische Kirche erneut durchsucht

Der lutherische Pfarrer in Bethlehem, Mitri Raheb, berichtete im ORF-Mittagsjournal am Montag, dass seine Kirche und seine Büros - sie liegen rund 300 Meter von der Geburtskirche entfernt - bereits zum dritten Mal von israelischen Soldaten gestürmt und durchsucht wurden. Mehrere Dutzend Fenster und Türen seien bereits zerstört. Den ganzen Vormittag seien in der Umgebung Schüsse zu hören gewesen. Zunehmend zum Problem werde, dass die in Bethlehem Verbliebenen völlig von jeder medizinischen Versorgung abgeschnitten seien. Er berichtete weiter, dass in den lutherischen Kirchen im Westjordanland am Sonntag erstmals kein einziger Gottesdienst gefeiert worden sei.

Sabbah: Franziskaner sind keine Geiseln

Der lateinische Patriarch von Jerusalem, Michel Sabbah, kritisierte "Falschinformationen" besonders von israelischer Seite, wonach die in der Geburtskirche verbliebenen Ordensleute von den palästinensischen Kämpfern als "Geiseln" gehalten würden. Er erinnerte an die Erklärung von Seiten der Franziskaner, sie würden ihr Kloster an der Geburtskirche nicht freiwillig verlassen. Gleichzeitig verurteilte er in scharfen Worten die "Belagerung" der Geburtsbasilika durch israelische Elite-Einheiten.

In einem Schreiben an seine Gläubigen wies er zugleich darauf hin, dass er am Sonntag, 7. April, erstmals nicht nach Bethlehem kommen konnte, um am Gottesdienst zum Fest Mariä Verkündigung in der Geburtskirche teilzunehmen. Die armenisch-apostolische Kirche, die einen Teil der Geburtskirche betreut, feiert dieses Fest nach dem julianischen Kalender am 7. April.

Franziskanisches Pilgerhospiz besetzt?

Unterdessen rief Bethlehems Bürgermeister Hannah Nasser die Kirchen in Europa auf, sich auf politischer Ebene sofort für einen Schutz der Geburtskirche einzusetzen. Nasser sagte der deutschen katholischen Nachrichtenagentur KNA am Montag auf Anfrage, ohne eine friedliche Klärung der Situation an der Geburtskirche sei eine Katastrophe zu befürchten. Der Bürgermeister bestätigte die Beschädigung von Mosaiken durch die Kampfhandlungen.

Nach seinen Angaben haben die israelischen Soldaten mittlerweile auch das franziskanische Pilgerhospiz "Casa Nova" in unmittelbarer Nachbarschaft der Geburtskirche besetzt. Derzeit liefen nach wie vor Verhandlungen zwischen den Kirchenoberhäuptern in Jerusalem, dem Vatikan, der palästinensischen Autonomiebehörde und der israelischen Regierung, um eine friedliche Lösung zu finden.

Nasser bezeichnete die Situation in Bethlehem als "schlimm" und schwer überschaubar. Die Ausgangssperre halte an, die israelischen Soldaten durchsuchten nach wie vor jedes Haus. Er schätze die Zahl der mittlerweile inhaftierten Palästinenser allein in Bethlehem auf mehrere hundert. Durch die anhaltende Ausgangssperre hätten die Menschen, auch Kranke und Kinder, häufig nicht mehr ausreichend Lebensmittel und Trinkwasser.

Kathpress
8. april 2002