Österreich muss trotz Verbots EU-Embryonenforschung fördern

Wiener Moraltheologe Virt und deutscher EU-Abgeordneter Liese machen auf Widerspruch in dem vom EU-Parlament beschlossenen Förderungsprogramm aufmerksam - Nur Forschungsministerrat am 12. Dezember kann Gesetz noch stoppen

Wien-Salzburg, 27.11.01 (KAP) Österreich und drei weitere EU-Länder - Deutschland, Irland und Portugal - müssen an der Förderung der EU für Embryonenforschung mitzahlen, obwohl diese Forschung in den vier Ländern verboten ist. Auf diesen Widerspruch haben der Wiener Moraltheologe Prof. Günter Virt und der deutsche CDU-Europa-Abgeordnete Peter Liese in einem Interview der westösterreichischen Kirchenzeitungen hingewiesen. "Wenn die Forschungsminister aus den Ländern, wo die Embryonenforschung gesetzlich verboten ist, beim letztentscheidenden Ministerrat am 12. Dezember energisch genug auftreten, könnte der Beschluss zu Fall gebracht werden", betonte Liese in dem Interview. Österreich ist in diesem Ministerrat durch Bildungsministerin Elisabeth Gehrer vertreten.

Das EU-Parlament hatte am 14. November das sechste Forschungsförderungsprogramm der EU für die Jahre 2002 bis 2006 beschlossen. Von den insgesamt 224 Milliarden Schilling sollen dabei auch bis zu 3,5 Milliarden für medizinische Forschungsprojekte ausgegeben werden, bei denen Embryonen im Anfangsstadium zur Gewinnung von Stammzellen vernichtet werden.

"Industrie hat sich rücksichtslos durchgesetzt"

Virt, Mitglied der Ethik-Beratergruppe der EU-Kommission, zeigte sich von diesem Beschluss tief enttäuscht. "Das ist eine Wende, mit der wir nicht gerechnet haben. Bisher gingen wir in der interdisziplinären Ethik-Gruppe immer davon aus, dass zwar in einigen Mitgliedsländern verbrauchende Embryonenforschung bzw. die Forschung an importierten Stammzellenreihen erlaubt ist, dass dies aber kein europäisches Programm ist. In diesem Sinne hat sich auch der Humangenetikausschuss des Europäischen Parlaments gegen eine EU-Förderung der Embryonenforschung ausgesprochen. Offenbar aber hat sich zu guter Letzt die Rücksichtslosigkeit der Industrie gegen alle ethischen Bedenken durchgesetzt", betonte der Moraltheologe.

Liese wertete den Beschluss vom 14. November als einen äußerst problematischen "Kompromiss". Er sei sich auch nicht sicher, ob alle Abgeordneten tatsächlich ganz im Bilde waren, was sie da eigentlich beschlossen haben. Es sei zumindest eigenartig, dass die deutschen und österreichischen Sozialdemokraten dafür stimmten, auch mit Geld aus ihren Ländern die Embryonenforschung zu fördern, obwohl diese in ihren Ländern ausdrücklich verboten ist.

Als Teilerfolg wertete es Liese, dass doch eine Reihe von Vorschlägen des Forschungs- und Industrieausschusses abgelehnt wurden. So dürfen die Herstellung von Embryonen für Forschungszwecke, jede Form des Klonens sowie eugenische Eingriffe in die Keimbahn von der EU nicht gefördert werden. Außerdem wurde beschlossen, die Forschung an adulten, d.h. von Erwachsenen gewonnenen Stammzellen vorrangig zu fördern.

Kein "Standort-Druck" aus den USA

Mit seinem Beschluss habe das Europa-Parlament "die Tür zur Embryonenforschung aber vorerst einmal weit aufgemacht", bedauerte Liese gegenüber den Kirchenzeitungen. Er lehne diesen Schritt aus mehreren Gründen ab: Die Verwertung von Embryonen als Forschungsmaterial sei mit der Menschenwürde unvereinbar. Die Kontrolle, ob tatsächlich nur Embryonen verwendet werden, die sonst auf jeden Fall absterben müssten, sei praktisch nicht möglich. Der Beschluss seien gefasst worden, obwohl in einer ganzen Reihe von EU-Mitgliedsländern die ethische und politische Debatte zur Embryonenforschung noch voll im Gang ist. Dabei gebe es deutliche Signale, die Forschung zu beschränken.

Auch den angeblichen "Standort-Druck" aus den USA lässt Liese nicht gelten. Die Regierung Bush habe die Förderung der verbrauchenden Embryonenforschung eingestellt. Liese sagte, er stimme mit der deutschen grünen EU-Abgeordneten Hiltrud Breyer überein, die im Europaparlament dazu aufrief, das "ethische Minenfeld" wegzuräumen, das mit diesem Beschluss gelegt wurde. Eine reelle Chance dazu gebe es noch beim Forschungsministerrat im Dezember.

Virt: Auch kein Teilerfolg

Prof. Virt bekräftigte das Nein aus moralischen Gründen zu dem Beschluss des EU-Parlaments. Bei der Forschung mit embryonalen Stammzellen werde menschliches Leben in seiner Frühphase gezielt zerstört. "Das ist mit der Würde und Einmaligkeit des Individuums unvereinbar. Jene, die Menschenleben als Mittel zum Zweck instrumentalisieren, müssten erst einmal beweisen, dass Frühembryonen kein menschliches Leben sind. Auch hehre (medizinische) Ziele können diese ethischen Einwände nicht wegwischen", so Virt.

Die Entscheidung des EU-Parlaments sei aber auch demokratiepolitisch höchst bedenklich: "Durch diesen Beschluss wird mit unseren Steuergeldern eine Forschung gefördert, die Österreich aus guten Gründen ablehnt". Dass die Keimbahnforschung und die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken durch Klonen nicht gefördert werden sollen, kann Virt - im Unterschied zu Liese - nicht als "Teilerfolg" werten: "Diese Praktiken widersprechen eindeutig der Menschenrechtskonvention des Europarates für Biomedizin. Das wäre wohl das Letzte, wenn die EU bewusst dagegen verstoßen würde".

Sollte der Beschluss des Europäischen Parlaments umgesetzt werden, fordert Virt eine lückenlose, umfassende Dokumentation aller geförderten Embryonenversuche - auch mit allen Misserfolgen und Missbildungen. Nur so könne sich die Öffentlichkeit ein Bild machen, was da wirklich geschieht, und ob sie das auch will.

K200107801
27. oktober 2000