Lateinischer Patriarch von Jerusalem will «für die ganze Kirche, nicht nur für die Palästinenser», da sein
Jerusalem, 23.5.02 (KAP) Die katholische Kirche im Heiligen Land lehnt nach den Worten des lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Michel Sabbah, jede Form von Gewalt ab. «Für uns als Kirche ist die Linie ganz klar: Keine Gewalt, kein Tod, keine Selbstmordattentate, keine Manifestationen, keine verbalen Attacken», betonte Sabbah in einem «Kathpress»-Interview in Jerusalem. Für die Palästinenser - «für das Volk, für die Politiker» - werde dies jedoch «möglicherweise anders aussehen», räumte Sabbah ein. Ein Beitrag der Kirche zum Frieden besteht nach Ansicht des Patriarchen darin, den Konflikt «auf seine Wahrheit und seinen eigentlichen Kern zu reduzieren».
Für Sabbah ist der Kern des Konflikts das Fortdauern der israelischen Besatzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens: «Die Israelis haben einen Staat auf einem Teil Palästinas, auf 78 Prozent des Gebietes. 1967 haben sie auch den anderen Teil, die übrigen 22 Prozent, besetzt. Heute verlangen die Palästinenser eben diesen Teil. Die Israelis haben den besetzten Teil nicht annektiert. Sie behaupten nicht, er sei israelisch. Er bleibt aber unter ihrer militärischer Besatzung».
Nur die 1967 besetzten Gebiete, die 22 Prozent des früheren Mandatsgebiets Palästina ausmachten, wollten die Palästinenser zu ihrem eigenen Staat machen, betonte der Patriarch. Die Palästinenser hätten dabei Vorleistungen erbracht, indem sie den Staat Israel und seine legitime Existenz auf den übrigen 78 Prozent des Gebietes anerkannt hätten. Die Israelis aber weigerten sich, den Palästinensern das übrige Gebiet zu überlassen. «Sie schieben andere Argumente vor, behaupten, die Palästinenser seien Terroristen, die keinen Frieden wollten, und mit Terroristen werde es keinen Frieden geben. Das alles sind Hindernisse zum Frieden. Stattdessen sollten die Israelis eingestehen, dass sie einen Teil der Region militärisch besetzt halten, und dass die Palästinenser ihre Freiheit und ihren Staat wollen. Das könnte einen Weg zum Frieden öffnen», so Sabbah.
Angesprochen auf die große und insgesamt wachsende Zahl der nichtpalästinensischen Katholiken im Heiligen Land, darunter sehr viele hebräischsprachige israelische Staatsbürger, sagte Sabbah, er sei für die ganze Kirche da, nicht nur für die Palästinenser. Er räumte Schwierigkeiten und Missverständnisse ein, wie seine Äußerungen von den Gläubigen verstanden würden. Für ihn seien alle Menschen vor Gott gleich, «und alle haben Anspruch auf ihre Rechte, die Israelis haben ein Recht auf Freiheit und Sicherheit, ebenso wie die Palästinenser ein Recht auf Freiheit und Sicherheit haben».
Als wenig Erfolg versprechend bezeichnete der Patriarch die Regierung Ariel Sharon. «Die jetzige Regierung in Israel wird schwerlich einen Frieden vorantreiben können», so Sabbah: «Es sind Leute, die Kriege zu gewinnen verstehen - diesen und auch künftige - die aber nicht verstehen, wie man einen Frieden gewinnt».
Zur Besetzung der Geburtskirche von Bethlehem wollte sich Sabbah nicht deutlich äußern. Auf die Frage, ob die Verschanzung in der Kirche ein Sakrileg dargestellt habe, antwortete er: «Man muss unterscheiden: Wenn die Palästinenser in die Kirche hineingegangen sind, um Zuflucht zu suchen, ist das akzeptabel. Denn zu allen Zeiten waren die Kirchen Stätten der Zuflucht für alle, unabhängig ob es Kämpfer oder Nicht-Kämpfer waren. Wenn sie aber hineingekommen sind, um den Ort zu besetzen und Krieg zu führen, haben sie dazu kein Recht. Die Kirche darf nicht in einen Ort des Krieges umfunktioniert werden. Gleichwohl haben auch die Israelis Konvente besetzt und als Kampfpositionen genutzt, um Krieg zu führen und auf Palästinenser zielen zu können. Es ist daher sehr schwer zu sagen, inwieweit es sich um Zuflucht oder um den Ausbau einer Kampfposition handelt».
Im übrigen habe der Mensch Vorrang vor Heiligen Stätten, so Sabbah: «Es ist Heuchelei, einen Menschen zu töten und gleichzeitig einen Ort zu respektieren. Das ist eine Lüge gegen Gott und die Menschen. Der Mensch ist heiliger als Steine - auch wenn diese mit heiligen Erinnerungen verbunden sind».
Kathpress
23. mai 2002