Patriarch Sabbah: "Sharon muss seine Politik ändern"

Resolution des Sicherheitsrates ein Hoffnungszeichen - Kirche für neue Nahost-Friedenskonferenz

Jerusalem-Vatikanstadt-Genf, 17.3.02 (KAP) Der lateinische Patriarch von Jerusalem, Michel Sabbah, sieht in der jüngsten Resolution des Sicherheitsrates (Nr. 1397) ein Hoffnungszeichen. Allerdings müsse diese Resolution umgesetzt werden, damit sie nicht "Papier bleibt" wie so viele andere Resolutionen. Die "internationale Gemeinschaft" sei endlich erwacht, sagte der Patriarch in einem Gespräch mit der Schweizer katholischen Nachrichtenagentur KIPA/APIC. Wörtlich meinte Sabbah: "Die internationale Gemeinschaft muss den Mut haben, Sharon und allen, die Israel lieben, deutlich zu sagen, dass der Vorteil der Palästinenser auch der Vorteil Israels ist".

Der Patriarch erinnerte daran, dass die Menschen in den Palästinensergebieten verzweifelt seien, vor allem die Erwachsenen, während bei den Jugendlichen der Widerstandsgeist ständig zunehme. Um den "Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt" zu durchbrechen, dürfe der israelische Ministerpräsident Ariel Sharon nicht mehr auf die militärische Option setzen, die darauf abziele, so viel Palästinenser wie möglich zu töten. "Wenn Sharon sein Volk wirklich schützen und die Zahl der Opfer reduzieren will, wenn er die Angst auslöschen will, dann muss er den Mut haben, seine Politik zu ändern und sich endgültig aus den besetzten Gebieten zurückziehen", betonte Sabbah wörtlich.

"Wir brauchen moralische Unterstützung des Papstes"

Der israelische Vize-Außenminister Michael Melchior wünscht sich ein noch stärkeres Engagement des Vatikans für einen Frieden im Nahen Osten. Das sagte der Vize-Minister, der auch Rabbiner ist, nach einem Treffen mit dem Papst in Rom. Melchior war einer der Teilnehmer des Nahost-Friedensgipfels der geistlichen Führungspersönlichkeiten des Heiligen Landes in Alexandrien gewesen. Wörtlich meinte Melchior in diesem Zusammenhang zu Radio Vatikan-deutsch: "Wir können nicht nur zwischen Politikern Frieden schließen - ohne Friede zwischen den Völkern, ohne religiöse Legitimation des Prozesses wird kein Friede eintreten". Beim Gipfel in Alexandrien am 21. Jänner seien die religiösen Repräsentanten des Heiligen Landes - Juden, Christen und Muslimen - erstmals gemeinsam für den Frieden eingetreten. Der israelische Vizeaußenminister betonte im Hinblick auf die jüngsten Äußerungen Johannes Pauls II. zum Frieden im Nahen Osten: "Der Papst hat nicht nur den ganzen Vatikan in die Waagschale geworfen - er setzt sich auch sehr persönlich ein. Er will sich in den nächsten Tagen bei passender Gelegenheit noch klarer und stärker äußern. Wir brauchen seine moralische Unterstützung".

"Madrid wieder einberufen"

Ein Waffenstillstand allein löst nach Einschätzung des Sprechers der Franziskaner-Kustodie im Heiligen Land, P. David Jaeger, nicht die Probleme in Nahost. Notwendig sei eine Friedenskonferenz, eine "Neueinberufung von Madrid", betonte der Franziskanerpater. Um die Situation zu ändern, müssten UNO, USA und Europa ihre "Politik der unterlassenen Hilfeleistung" beenden und sich für eine Friedenskonferenz einsetzen, sagte der israelische Franziskaner im Gespräch mit dem vatikanischen Missionsnachrichtendienst "Fides".

Pater Jaeger gibt der Vermittlungsmission des US-Generals Anthony Zinni im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern nur dann eine Chance, wenn es sich um "mehr handelt als eine Show" im Blick auf den Zusammenhalt der Anti-Terror-Allianz. Die einzige Hoffnung im Blick auf die US-Mission bestehe jetzt darin, "dass man nicht bei einem Waffenstillstand stehen bleibt, sondern auf die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen drängt", meinte der Vatikan-Berater, der als Ko-Architekt der in den neunziger Jahren zwischen Vatikan und Israel abgeschlossenen Grundlagenverträge gilt. Die Palästinenser seien dazu bereit, in Israel gebe es nur in der Opposition Zustimmung zu diesem Weg. Die Friedenskonferenz sollte an die Gespräche in Madrid im Oktober 1991 anschließen und auch Syrien und den Libanon einbeziehen.

Indessen hält die Kritik aus katholischen Organisationen wegen der jüngsten Attacken der israelischen Armee auf kirchliche Einrichtungen in Bethlehem und Gaza an. Der Souveräne Malteser-Ritterorden solidarisierte sich mit dem Protest des Direktors des "Spitals der Heiligen Familie" in Bethlehem, Robert Tabash. Das von Tabash geleitete Spital, das dem Malteser-Ritterorden gehört, war am Donnerstag von Maschinengewehr-Salven beschädigt werden; die Kapelle wurde von einer Panzergranate getroffen und im oberen Teil völlig zerstört. Auch eine große Marienstatue auf dem Dach der Kapelle wurde zerstört. Verletzt wurde den Angaben zufolge niemand; Patienten wurden evakuiert.

"Osservatore": Eine Generation verschwindet

Die Gewaltwelle in Nahost hat nach Einschätzung des Vatikans verheerende Folgen für eine ganze Generation. Jeden Tag würden Kinder im Nahen Osten Opfer von absurder Gewalt, schreibt die Vatikanzeitung "L'Osservatore Romano" in ihrer Sonntagausgabe: "Neugeborene sterben in den Armen der Eltern, weil Medizin fehlt, Schulen werden bombardiert, während Kinder im Schulhof spielen, Kinder werden von Minen getötet oder verstümmelt". Eine ganze Generation drohe zu verschwinden: "Und wer sich vor den Bomben retten kann, bewahrt im Inneren einen Hass, der die Rückkehr zu einem normalen Leben jeden Tag schwieriger macht". Eine Beendigung der Gewalt bedeute somit auch, "der Zukunft eine Hoffnung zu geben und den Kindern ihr Recht zurückzugeben", so das Vatikanblatt.

Weltkirchenrat: Auf die Rufe der Kirchen hören

In einem offenen Brief an die Mitgliedskirchen hat der Ökumenische Rat der Kirchen (Weltkirchenrat) in Genf dazu aufgerufen, sich in einer gemeinsamen Anstrengung um Frieden im Nahen Osten zu bemühen. Mehr denn je sollte man auf die Warnrufe der Kirchen und christlichen Gemeinschaften der Region hören und reagieren, die verzweifelt sind ob des täglichen Blutvergießens, dessen Zeugen sie werden.

Mit dem offenen Brief reagierte der Weltkirchenrat auf die zahlreichen Appelle lokaler Kirchen und palästinensischer und israelischer Friedens- und Menschenrechtsorganisationen. Er ruft zudem die Staatengemeinschaft auf, die UNO-Friedensbemühungen zu unterstützen. Die Kirchen sollten ihrerseits den Dialog mit Juden und Muslimen pflegen. Dieser Dialog sei Teil der Friedensbemühungen. Das Schweigen zu den Ereignissen in Nahost müsse gebrochen werden. Denn es könne sonst als ein Einverständnis mit Gewalt und Unrecht ausgelegt werden.

Kathpress
17. mars 2002