Alle Palästinenser verließen Kirche - Die 13 von Israel als "Top-Terroristen" bezeichneten Männer wurden nach Zypern ausgeflogen - Sie sollen in den kommenden Tagen auf sechs EU-Staaten, darunter Österreich, verteilt werden
Jerusalem-Nikosia, 10.5.02 (KAP) Das Drama um die Geburtskirche in Bethlehem ist am Freitag vormittag zu Ende gegangen. Alle verbliebenen 124 Palästinenser haben die seit 40 Tagen belagerte Kirche verlassen. Wie die israelische Armee am Freitagmorgen mitteilte, befinden sich nur noch rund ein Dutzend Pazifisten, die sich vor gut einer Woche Zugang zu dem Gebäudekomplex verschafft hatten, im Inneren der Kirche.
Die Kirche war seit 2. April besetzt. Am Freitag verließen gegen 6 Uhr früh österreichischer Zeit zunächst 13 von 124 verbliebenen Palästinensern die Kirche, um nach Zypern ausgeflogen zu werden. Nach 8 Uhr kamen 26 weitere Palästinenser aus dem Gotteshaus. Laut einer am Donnerstag erzielten Übereinkunft sollen sie in den Gaza-Streifen abgeschoben werden. Die übrigen 85 Zivilisten, die die Kirche bis 10.30 Uhr verließen, sollen nach Überprüfung ihrer Personalien freigelassen werden.
Die 13 von Israel als "Top-Terroristen" bezeichneten Männer wurden nach Armeeangaben in einem Bus aus der Stadt gebracht. Sie sollen von Zypern in den kommenden Tagen auf mehrere EU-Staaten verteilt werden. Als Ziele wurden sechs EU-Staaten - namentlich Italien, Spanien, Österreich, Portugal, Irland und Luxemburg -, aber auch Griechenland und Kanada genannt. Beobachter vermuten, dass bei der Auswahl der "Aysl-Länder" im Hintergrund auch die vatikanische Diplomatie mitgewirkt hat.
Bisher liegt allerdings von keinem der Staaten eine offizielle Bestätigung vor. Italien und Spanien hatten an den Vortagen eine Aufnahme abgelehnt. Die Lösung soll laut unbestätigten Medienberichten auf Vermittlung der Europäischen Union zu Stande gekommen sein.
Am Donnerstagabend hatte die zypriotische Regierung mitgeteilt, das Land sei übergangsweise zur Aufnahme der "Top-Terroristen" bereit. Wie der zypriotische Außenminister Ioannis Kassoulidis am Freitagmorgen im Radio sagte, sollen die Palästinenser nur vorübergehend bleiben. "Die EU wird Anfang kommender Woche entscheiden, welche Staaten sie aufnehmen sollen", sagte Kassoulidis im Radio.
Etchegaray: Wie ein "Zweites Weihnachten"
Als "eine Art Zweites Weihnachten" bezeichnete Kurienkardinal Roger Etchegaray das Ende des Dramas um die Geburtsbasilika. Der Kardinal, der in vatikanischer Sondermission im Heiligen Land zu vermitteln versucht hatte, äußerte sich am Freitag im Gespräch mit dem Missionspressedienst "Misna" "hocherfreut" über die Lösung und dankte insbesondere der EU für ihren Beitrag. Zugleich bekundete er die Hoffnung auf einen gerechten und dauerhaften Frieden zwischen Israelis und Palästinensern.
Mit großer Freude und Erleichterung reagierte die Leitung des Franziskanerordens in Rom. "Dank an Gott, an den Papst und seine Fürsorge, und Dank an alle Menschen guten Willens, die sich für den Dialog und die Lösung eingesetzt haben", erklärte Ordenssprecher Gianfranco Pinto Ostuno am Freitag.
In einer Erklärung des Generaloberen P. Giacomo Bini heißt es, das Ende des Dramas sei "nur eine Etappe auf dem Weg der Versöhnung" im Nahen Osten. Man müsse sich für sich für den "Abbau von blindem, terroristischem Hass" einsetzen, der aller Vernunft und jeder Religion widerspricht. Auch "alle Strukturen von Gewalt, widerrechtlicher Aneignung und destruktiver Rache" seien entschieden abzulehnen.
"Helft uns, die offenen Wunden dieses Konflikts zwischen zwei Völkern zu heilen, die im selben Land zusammenleben können und zusammenleben müssen", forderte P. Bini, dessen Orden seitens der Katholiken für die Geburtskirche verantwortlich ist. "Helft uns eine neue Kultur des Zusammenlebens einzusetzen. Helft uns, damit wir noch auf die Möglichkeit von Frieden hoffen können, der auf Gerechtigkeit und Verzeihen aufbaut", so Bini.
Noch ungeklärt ist, wann das Gotteshaus wieder offiziell geöffnet wird. Darüber müssten die Verantwortlichen der drei zuständigen Konfessionen - der griechisch-orthodoxe und der armenisch-apostolische Patriarch von Jerusalem sowie der Kustos der Franziskaner - entscheiden, so Bini. Der Generalobere der Franziskaner hält sich gemeinsam mit dem Franziskaneroberen im Heiligen Land, P. Giovanni Battistelli, bereits in Bethlehem auf.
Haider für Aufnahme in Österreich
Der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider trat in New York für eine Aufnahme von Palästinensern aus der Geburtskirche in Österreich ein. Einige Palästinenser, die von Israel abgeschoben werden sollen, könnten nach Österreich kommen, so Haider Donnerstagabend (Ortszeit) in New York vor Journalisten am Rande einer Veranstaltung. Mit einer befristeten Aufenthaltsbewilligung könnten sie sich einige Zeit in Österreich aufhalten, bis sie in ein arabisches Land weiterreisen können.
Auf die Frage ob die Palästinenser, denen von israelischer Seite Terrorismus vorgeworfen wird, in Österreich vor Gericht gestellt würden, meinte Haider, es würden sicherlich Bedingungen für die Aufnahme ausgehandelt werden. Selbstverständlich müssten die Palästinenser in Österreich aber bis zur Weiterreise "gut bewacht" werden.
Unmenschliche Bedingungen
In der Geburtskirche hielten sich von anfangs rund 200 zuletzt noch 124 teils bewaffnete Palästinenser verschanzt. Auch 29 Ordensleute harrten bis zuletzt in dem von israelischem Militär belagerten Gebäudekomplex aus. Unter teils unmenschlichen Bedingungen hatten bis zu 250 Menschen seit 40 Tagen in der Kirche und den angrenzenden Gebäuden zusammengelebt. Am 2. April waren zwei Hundertschaften teils bewaffneter Palästinenser unter dramatischen Umständen in die Kirche gestürmt.
Der Ort, an dem nach der Tradition Christus geboren wurde, ist eine der heiligsten Stätten der Christenheit. Hier fand ein Nervenkrieg statt: Aushungern, nächtlicher Psychoterror, Scharfschützen und scharfe Schüsse, Verwundete, mindestens sechs Tote. Ob die Besetzung der heiligen Stätte vorsätzlich erfolgte oder als letzte, verzweifelte Lösung gehetzter Menschen - oder gar beides - wird vielleicht niemals ganz geklärt werden.
Die mehreren Dutzend Priester und Ordensleute, die sich zum Zeitpunkt der Erstürmung in dem weitläufigen Komplex aufhielten, nahmen ihre Rolle als "Hüter der heiligen Stätte" mit gewissenhafter Treue wahr. Katholiken, Orthodoxe und Armenier - Männer und Frauen, darunter Greise - wachten in ökumenischer Verbundenheit. Von israelischer Seite hieß es lange, die Geistlichen würden als Geiseln festgehalten. Die Franziskaner hingegen beteuerten per Handy, sie blieben freiwillig. Denn nur so könnten sie ein noch größeres Blutvergießen verhüten.
Welche Schäden sind entstanden?
Die Geburtskirche in Bethlehem, eine der heiligsten Stätten der Christenheit, soll an der Stelle stehen, an der Maria in einer Höhle Jesus geboren hatte. Kaiser Konstantin ließ im Jahr 326 den Vorgängerbau der heutigen Kirche errichten. Der Hauptaltar der im 6. Jahrhundert neu erbauten Basilika befindet sich über jener zwölf mal zehn Meter großen Grotte. Dort wird der eigentliche Geburtsort durch einen 14-zackigen goldenen Stern auf weißem Marmor markiert.
Hauptzugang zu dem Gotteshaus, das einer Festung gleicht, ist seit dem 16. Jahrhundert die nur 1,20 Meter hohe so genannte "Tür der Demut". Damit sollte verhindert werden, dass Berittene in die Kirche eindringen konnten.
Die Geburtskirche ist in einen weitläufigen Gebäudekomplex von Kreuzgängen, Klöstern, Grotten und weiteren Kirchen integriert, der sich über 12.000 Quadratmeter erstreckt. So ist die katholische Katharinenkirche direkt mit der Geburtsbasilika verbunden.
Zudem gehören dazu ein lateinischer, ein griechisch-orthodoxer und ein armenisch-apostolischer Konvent zum Basilika-Bereich. Seit mehr als 1.600 Jahren leben hier Mönche. Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Gotteshaus, eine der ältesten komplett erhaltenden Kirchen überhaupt, immer wieder umkämpft.
Die Zeit der Kreuzfahrer, die den Gebäudekomplex stark ausbauten, brachte Reichtum auch für die Stadt Bethlehem. Im 12. Jahrhundert wurden die Wände der fünfschiffigen Basilika mit kostbaren Mosaiken verziert. Sie gehören - neben 36 Säulen und fein gearbeiteten Bodenmosaiken aus dem Vorgängerbau des 4. Jahrhunderts - zu den vielen unermesslichen Kunstschätzen der Geburtskirche.
Noch ist nicht zu ermessen, welche Schäden die 40-tägige Belagerung und Besetzung an dem Gebäudekomplexe angerichtet hat. Schon berichten Reporter über Stimmen aus der Orthodoxie, dass man der Weltöffentlichkeit Bilder vom Zustand im Inneren aus Rücksicht auf die "palästinensische Sache" nicht zeigen dürfe.
Patriarch Sabbah: Komme nach Blockadeende
Der lateinische Patriarch von Jerusalem, Michel Sabbah, äußerte sich erleichtert, bekundete zugleich aber die Hoffnung auf einen Waffenstillstand. "Wir danken Gott für das friedliche Ende nach diesen 40 Tagen", betonte ein Patriarchatssprecher am Freitag im Gespräch mit "Kathpress".
Sabbah sei jedoch nie über die Kirche selbst und über die Patres besorgt gewesen, weil diese von Gott geschützt würden. Der Patriarch werde das Gotteshaus besuchen, sobald die Blockade von Bethlehem beendet und damit ein regulärer Besuch möglich sei, hieß es.
Entscheidung über Aufnahmeländer am Montag
Die EU-Außenminister wollen am Montag über die Aufnahmeländer für die 13 am Freitag nach Zypern ausgereisten Palästinenser aus der Geburtskirche in Bethlehem entscheiden. Beim Außenministertreffen in Brüssel werde darüber abschließend beraten, sagte ein Sprecher des EU-Nahost-Sondergesandten Miguel Angel Moratinos am Freitag der deutschen katholischen Nachrichtenagentur KNA.
Dass die Palästinenser die Geburtskirche am Freitag hätten verlassen können, sei ein großer Erfolg der EU-Diplomatie. In mehrtägigen Verhandlungen hätten der EU-Beauftragte für Außenpolitik, Javier Solana, und Moratinos eine Lösung herbeiführen können, so der Sprecher Javier Sancho-Velazquez.
Zypern sei nur ein Transitland für die 13 Palästinenser, die weder Gefangene seien noch juristisch verfolgt würden, unterstrich Sancho-Velazquez. Mit Blick auf die in Medienberichten genannten möglichen Aufnahmestaaten sagte er, es handle sich um "eine EU-Angelegenheit". Wenn andere Länder sich daran beteiligten, sei dies nur zu begrüßen, so Sancho-Velazquez. Die Entscheidung bleibe den EU-Außenministern überlassen, so der Sprecher.
Westliche Aktivisten bleiben in Geburtskirche
Noch rund ein Dutzend Pazifisten, die sich vor gut einer Woche Zugang zu dem Gebäudekomplex verschafft hatten, befinden sich im Inneren der Kirche. Offenbar hätten sie Angst vor einer Festnahme, da sie widerrechtlich in militärisches Sperrgebiet eingedrungen seien, so ein Militärsprecher.
Nach Armeeangaben verhindern die Mitglieder einer pro-palästinensischen Solidaritätsbewegung mit ihrer Weigerung zur Zeit den Abzug der Israelis aus Bethlehem. Sie hatten Anfang Mai Lebensmittel in die von der israelischen Armee belagerte Kirche gebracht.
Spannung bis zuletzt
Das Tauziehen um eine Lösung für die besetzte und belagerte Geburtsbasilika hatte bis zuletzt gedauert. Bereits in der Nacht zum Donnerstag schien eine Lösung zunächst in greifbare Nähe gerückt. Drei Autobusse standen schon auf dem Krippenplatz bereit, um nach einer Identifizierung 84 Zivilisten in Freiheit zu bringen und 26 palästinensische Militärs in den Gaza-Streifen zu fahren; die 13 als Terroristen gesuchten Palästinenser sollten zunächst in der Kirche bleiben. Warum die Aktion abgebrochen wurde, erläuterte aus Bethlehem Franziskaner-Kustos P. Giovanni Battistelli so: "Das Problem war, dass die Israelis, die zunächst einverstanden waren, nicht wollten, dass ein englischer Beobachter mit den 13 'Terroristen' in der Basilika bleibt. Und auch nicht, dass die Waffen solange mit in der Basilika verbleiben. Das waren die beiden Problempunkte, obwohl sie zuvor schon geklärt waren".
Darüber hinaus blieb bis zuletzt die Frage der Aufnahmeländer für die 13 des Terrorismus Beschuldigten. "Italien darf mit dem Problem der Aufnahme nicht allein lassen gelassen werden", meinte dazu Kardinal Roger Etchegaray, der im Auftrag des Papstes im Heiligen Land gewesen war. Etchegaray rief alle EU-Länder dazu auf, sich der Verantwortung solidarisch zu stellen. Die diskreten vatikanischen Bemühungen dürften dann auch den Ausschlag gegeben haben.
Auch Pazifisten verließen Geburtskirche
Auch die internationale Pazifistengruppe hat die Geburtskirche von Bethlehem am Freitagmittag verlassen. Wie der israelische Rundfunk berichtete, sind die die zehn pro-palästinensischen Aktivisten nach Israel gebracht worden. Dort würden rechtliche Schritte gegen sie eingeleitet, weil sie sich vor rund einer Woche durch militärisches Sperrgebiet in die Geburtskirche durchgeschlagen hatten.
Die Armee berichtete weiter, amerikanische Experten und israelische Soldaten hätten bei der Untersuchung der 39 Tage lang belagerten Geburtskirche Minen gefunden. Sie seien dabei, sie zu entschärfen.
Unterdessen begrüßte US-Präsident George W. Bush das Ende der Belagerung. Die Lösung der Krise bedeute einen ersten Schritt hin zu einer Wiederaufnahme des Friedensprozesses, erklärte er in Washington. Nach Griechenland signalisierte am Freitag auch die portugiesische Regierung, sie wolle zumindest einen der 13 Palästinenser aufnehmen, die nach dem Ende der Belagerung der Geburtskirche nach Zypern ausgeflogen worden waren.
Kathpress
10. mai 2002