Papst will keine «jammernde Kirche»

Die Slowakei hat für Johannes Paul II. eine Schlüsselfunktion - Außer seiner polnischen Heimat liegt kaum ein Land dem Papst so nahe wie die Slowakei

«Kathpress»-Korrespondentenbericht von Franz Morawitz

Preßburg, 12.9.03 (KAP) Die gesundheitliche Schwäche Johannes Paul II., die sich besonders bei seiner Ankunft auf dem Preßburger Flughafen gezeigt hatte, überdeckte in der medialen Wahrnehmung wieder einmal fast völlig die zentrale Botschaft der 102. Auslandsreise des polnischen Papstes. Dabei gewann der Papst am Donnerstag abend wieder die Kraft seiner Stimme zurück, und er artikulierte in der Tyrnauer Kathedrale seine spontanen Dank- und Gebetsworte an die Zehntausenden Gläubigen vor den Videoschirmen deutlich.

Johannes Paul II. geht es in der Slowakei um eine Stärkung der unter großen kollektiven Minderheitskomplexen bis hin zu Verfolgungsängsten leidenden Katholiken, ein Phänomen, das auch auf die Situation in anderen Reformstaaten zutrifft. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden politisch-wirtschaftlichen Großveränderung durch den EU-Beitritt möchte der Papst nicht, dass der Eindruck einer «jammernden Kirche» entsteht.

Die Slowakei hat für Johannes Paul II. eine Schlüsselfunktion. Mit Abstand ist sie jenes Land, das Johannes Paul II. nach seiner Heimat Polen am nächsten ist - und nicht nur geographisch. Slawisch-katholische Volksreligiosität und Lebensgewohnheiten unterscheiden sich auf beiden Seiten der Grenze nur wenig. Der überaus herzliche Empfang für Johannes Paul II. in der Slowakei mit Massen von Fähnchen schwingenden Gläubigen und auffällig vielen jungen Ordensleuten ähnelt deshalb auch dem Szenario der Papstbesuche in Polen. Hinzu kommt, dass rund 200.000 Katholiken aus Polen über die Grenze gereist sind, um «ihren Papst» zu sehen.

Freilich hat die Geschichte - und nicht nur die jüngste - in beiden Ländern vollkommen andere Konstellationen aufgebaut. Und hier liegen auch die Wurzeln für die Unterschiede in der aktuellen «Performance» der Kirche diesseits und jenseits der Hohen Tatra.

Polen ist eine selbstbewusste Nation mit rein katholischer Identität. Ganz anders die Situation im slawisch besiedelten einstigen «Oberungarn», das sich erstmals im finsteren Jahr 1939 zum - lang ersehnten - eigenen Staat erklärte und sogleich in den Abgrund von Schuld, Versagen und Katastrophe mitgerissen wurde. Auch die Kirche war zutiefst von diesen traumatischen Vorgängen mitbetroffen - war doch der Präsident des ersten slowakischen Staates ein katholischer Priester, Prälat Tiso.

Auf diesem Hintergrund hatten dann die Kommunisten ein leichtes Spiel, um die gesamte katholische Kirche zu denunzieren und zu verfolgen. Auf eine Zeit der allerhärtesten Repression - gekennzeichnet durch Märtyrergeschichten wie jene von Bischof Vasyl Hopko und Schwester Zdenka Schelingova, die am Sonntag im Preßburger südlichen Vorort Petrzalka selig gesprochen werden - folgte der «Prager Frühling».

Zumindest im Bereich der Religionsfreiheit gingen die Reformen auch nach dem August 1968 noch bis zur Machtübernahme Gustav Husaks 1969 weiter: Die Bischöfe kehrten zurück, die Ordensgemeinschaften konnten wieder neue Mitglieder aufnehmen, Religionsunterricht in den Schulen und Wallfahrten wurden zugelassen, das kirchliche Verlags- und Pressewesen lebte auf, die in die Orthodoxie zwangsintegrierte griechisch-katholische Kirche konnte sich neu konstituieren.

Mit dem Beginn der Ära des Slowaken Husak kamen die Spitzel und Kirchenreferenten allerdings wieder zu Wort. Eine «totale Rückwende» in stalinistische Zeiten gelang den Kommunisten aber nicht mehr. Die 20 Jahre der «Normalisierung» von 1969 bis 1989 waren durch eine Begünstigung der «kompromissbereiten» Priester und Bischöfe und die Schikanierung der «unbotmäßigen» charakterisiert.

Trotz aller Schikanen konnten die Kommunisten die Vitalität der slowakischen Kirche nicht brechen. Zeichen für die verbliebene Stärke waren die Wallfahrten, zu denen oft hunderttausende Menschen kamen - trotz Straßensperren und schärfster Kontrollen der Fußmarschierer. Äußerlich stand die slowakische Kirche jedenfalls 1989 besser da als ihre tschechische Schwesterkirche.

Die Unabhängigkeit der Slowakei 1993 wurde von den Bischöfen an der Spitze aller Katholiken entschieden begrüßt, während viele frühere Kommunisten, Wirtschafts-Verantwortliche und Arbeiter in den großen Staatsbetrieben dagegen waren. Dass die Geschichte der unabhängigen Slowakei auch wirtschaftlich tatsächlich ein Erfolgsweg werden sollte und das Land demnächst in der EU sein wird, wagte vor zehn Jahren niemand zu erträumen.

Freilich werden die bevorstehenden Veränderungen für das neue EU-Mitglied Slowakei einen hohen Preis fordern. Beim Besuch des Zentrums von Trnava mit seinen veralteten, personell überbesetzten Kaufhäusern und Läden aus der kommunistischen Zeit konnten sich die ausländischen Medienvertreter beim Papstbesuch ein Bild von den Problemen machen. Der Kontrast zwischen der boomenden Hauptstadt Preßburg und der immer weiter zurück fallenden «Provinz» ist denn auch eine große Sorge der Verantwortlichen.

Der Papst kennt das Phänomen aus seiner Heimat Polen, und es bereitet ihm Sorgen. In beiden Ländern droht die katholische Kirche immer stärker zu einem Sammelbecken der Modernisierungs-Verlierer zu werden, mit starker Basis in der Landbevölkerung, aber schwacher Stimme in Politik und Gesellschaft und noch schwächerer Präsenz in der neuen Erfolgsgeneration der Großstädte. Dort haben Einkaufszentren am Sonntag von 8 bis 24 Uhr geöffnet, und die großen Medien sind - so etwa in der Slowakei - völlig im Einflussbereich des Neo-Liberalismus. Sie konnten deshalb im Vorfeld des Papstbesuchs erfolgreich kirchenkritische Themen pushen - von den angeblich explodierenden Kosten des Papstbesuchs, der drohenden «Vatikanisierung» der Slowakei und der Abtreibungsdiskussion bis zur geplanten «Abdrehung» der doch so wunderbaren Sonntagsöffnung.

Für Johannes Paul II. lautet die Botschaft: Mut haben, hinaus in die Welt gehen und dort das Evangelium leben und andere für ein Leben aus dem Glauben faszinieren. Weiters soll nach der Vorstellung des Papstes die slowakische Führung in ihrer zur Zeit stark von christlichen Vorstellungen inspirierten Politik gestärkt werden. An die augenblicklich in der Abtreibungsfrage zerstrittene Koalitionsregierung appellierte Johannes Paul deshalb, sich für den umfassenden Schutz des Lebens einzusetzen.

In Zeiten schwieriger politischer und ökonomischer Entwicklungen warten die Menschen auch in der Slowakei auf Zeichen der Ermutigung, auf Worte des Trostes und der Hilfe, die sie ihre gegenüber der Zeit vor 1989 völlig veränderte Lebenssituation annehmen lassen. Der Jubel, der Johannes Paul II. auf seinem Siegeszug durch die Slowakei 1990 und 1995 begleitet hatte, ist diesmal gedämpfter. Aber die Freude über den Besuch Johannes Pauls II. und das Vertrauen in den Wojtyla-Papst, der schon als junger Priester in die slowakische Tatra zum Skilaufen kam, ist geblieben.

Kathpress
12. september 2003

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